© Thomas Hirsch-Hüffell

Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt

Gründonnerstag 2022 auf der Reeperbahn

Es war unsere riskanteste Pop Up Church bisher. Und zugegeben: Wir waren lange unsicher … Nimmt das überhaupt jemand an – sich von uns Pastor*innen die Füße waschen zu lassen? Schuhe und Strümpfe mitten auf der Straße auszuziehen – vor aller Augen? Sowas machen wir sonst nur beim Arzt oder in der Fußpflege – dort ist der legitimierte Ort für die Hornhäute und Schwielen, für Druckstellen und Hühneraugen. Schuhe ausziehen – das ist jedenfalls kein Kinderspiel.

Wir haben uns nach langem Ringen in der Vorbereitung dazu entschieden, der Geste Jesu zu vertrauen. Und notfalls einfach nur die Geste mitten auf der Straße gegenüber der Davidwache darzustellen, weil sie für uns eine ganze Weltsicht zum Ausdruck bringt: Nicht mit Füßen treten, sondern sie waschen. Nicht Krieg führen, sondern einander dienen.

Eine ganze Weltsicht in einer Geste

© Thomas Hirsch-Hüffell

Was wir dann aber am Gründonnerstagabend auf der Reeperbahn erlebt haben, hat uns alle überwältigt. Es waren sicher über 40 Menschen, die sich auf unsere weißen Stühle gesetzt haben und viele, viele Zaungäste. Ein junger Arzt, der von der Aktion im Radio gehört hatte, wollte mit seiner Freundin einen Tag vor ihrem Abflug noch den letzten gemeinsamen Abend genießen: „Ich stand heute 8 Stunden im OP, ohne Pause … und das tut soo gut!“

Eine junge Frau: „Was kostet das?“ Das kostet gar nichts! „Aber wo kann man denn jetzt was spenden?“ Nein, es geht auch nicht ums Spenden. Wir machen das einfach so. Ihre Augen leuchten: „Das finde ich toll!“ Am Ende sagt sie zu einer von uns: „Das ist so schön gewesen. Ich … bin … dankbar!“

Dazwischen immer wieder heißes Wasser holen in den umliegenden Kneipen. Zum Beispiel bei Burger King. Einer von uns ungefähr so: „Es ist Ostern und wir kommen von der Kirche. Heute ist Fußwaschung. Dafür bräuchten wir heißes Wasser.“ Bei Burger King gibt man weiter: „Der Christ braucht Wasser!“ Und als er die Eimer trägt, da raunt einer: „Achtung, der trägt heiliges Wasser!“

„Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.“ (Joh 13,14f)

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Ein älterer Herr aus Rahlstedt kommt mit einer Frau aus Mecklenburg. Auch sie hatten davon gehört. Er ist so angerührt, dass seine Augen nass werden. Er erzählt davon, wie der Glaube in ihm langsam und immer wieder brüchig gewachsen ist und dass man seiner Mutter in der Gemeinde die Füße eingerieben hätte kurz vor ihrem Tod. Daran erinnere ihn das.

Einen anderen spreche ich an. Er ist – wie so viele – überraschenderweise sofort dazu bereit. Sein Freund, der ihn begleitet hat, setzt sich hinter uns auf die Stufen und lauscht der Musik. „Seid ihr von der katholischen Kirche?“, fragt er. Nein, wir sind evangelische Pastorinnen und Pastoren, die meisten von uns. „Ich muss euch sagen, ich bin ausgetreten.“ Stille. „Nicht wegen Missbrauch, sondern weil ich so viel gebetet habe und es hat nichts gebracht. Meine Frau ist vor einem Jahr gestorben.“ Ich wasche schweigend weiter, versuche seine Füße mit Öl zu streicheln und nicht nach irgendwelchen dann doch nicht passenden Worten zu suchen, sondern mich ganz in die Geste zu geben. Hinterher sage ich dann ungefähr sowas wie: „Das hier heute ist für dich. Weil dir Gutes geschehen soll.“ Benommen stolpert er weg, kommt zurück und sagt: „Vielleicht trete ich bei euch wieder ein. Ich finde das so toll, was ihr macht. So toll. So toll!“

© Thomas Hirsch-Hüffell

Manche stehen nur dabei. Wollen sich nicht setzen, keine Fußwaschung, keine Bonbons und auch keine Ankerherz-Tattoos. Aber sie wollen uns supporten.

Ein Kind hat eine Strumpfhose an. Also wäscht ihm eine von uns die Hände und ölt sie ein. Das Mädchen schnuppert den ganzen Abend immer wieder an ihren Händen.

Überhaupt viele Menschen, die die Geste zu Tränen gerührt hat. Und unser Eindruck: Die Leute verändern sich durch die Geste. Manches fällt von ihnen ab. Zwischendurch sieht man manchmal einen von uns beten: Für Verstorbene, die Person selbst oder dass dieser Krieg endlich endet.

Manche umarmen uns und rufen uns zu: „Es war schon jetzt das Schönste an dem ganzen Wochenende!“ Oder: „Zwei Tage Hamburg. Und das jetzt war das Allerschönste! Das sag ich euch! In nomine Patris et Filii, et Spiritus Sancti.“ Oder auch: „Also ich wollt euch 5 Euro schenken. Weil das ist geil, dass ihr das macht! Und da oben auf der Meile ist es viel teurer!“

Auch wir sind dankbar: Mit so viel Gleichgesinnten zusammen Kirche zu sein. Keine Frage: Wer macht was? Keine parochialen Grenzen. Wir üben und verschenken uns gemeinsam am Vorabend eines Wochenendes, welches noch viel zu bieten hat.

Hier findest du ein kleines Interview zu unserer Aktion auf domradio.de sowie einen Bericht auf zdf.de. Und auch die BILD hat in ihrer eigenen Art über uns berichtet: bild.de.

© Thomas Hirsch-Hüffell