© Thomas Hirsch-Hüffell

Du siehst mich!? Gottes starke Töchter

Pop Up Church am Hamburger Bahnhof

Es ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Da statistisch gesehen jede 4. Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Partnerschaftsgewalt erlebt, tragen wir Schilder, auf denen nach Genesis 16,13 "Du siehst mich!?" und "Jede 4. Frau" steht und bitten die Passant*innen Vornamen von Frauen aufzuschreiben, die Gewalt erfahren haben. Wir sammeln sie an unseren Körpern auf großen Plakaten und tragen sie danach in den Gottesdienst im Stadtteil St. Georg, wo dieser Gottesdienst eine lange Tradition aufweist. Die Splitter dieser Begegnungen haben wir hier festgehalten.

Ein geistliches Tagebuch

© Thomas Hirsch-Hüffell

Ich spreche mit einem Afrikaner. Er sagt: Auf Englisch bitte. Ich erkläre, krame nach Vokabeln. Er sagt: Gestern, meine Schwester, ihre Kinder, in Nigeria, ein Mann aus dem Haus, zusammen mit anderen jungen Männern. Er sagt, er ist verzweifelt, was kann er tun. Mir wird schlecht, er schreibt ihren Namen auf. Ihr Name ist Precious = Wertvoll.

Hektisches Treiben. Feierabend, endlich nach Hause. Wir sprechen einen Mann an. Breitschultrig, groß und selbstbewusst. Er hört uns interessiert zu, geht aber weiter. Ob er auch Frauen kennt, die Opfer von Gewalt geworden sind. Ja, sagt er, ich kenne mehrere. Ich denke: Einer, der zu uns steht. Er aber lacht und sagt: Aber denen gefällt das ganz gut.

Wir haben Namen gesammelt von betroffenen Frauen an Plakaten auf unseren Körpern und diese Namen in der Kirche vorgelesen und vor Gott gebracht.

© Thomas Hirsch-Hüffell

Wir unterhalten uns mit einer Frau. Sie interessiert sich für die Schilder, die wir tragen. Was macht ihr? Wir erklären ihr, was wir vorhaben – fragen sie, ob sie auch eine Frau kenne. Ihr Gesicht verzerrt sich, der Blick richtet sich nicht mehr auf uns. Sie schüttelt stumm den Kopf und geht weiter.

Wir sprechen eine Gruppe junger Männer an. Zunächst nicht sicher, ob sie sich auf das Thema einlassen wollen. Wir erklären, was wir machen: Namen sammeln von Frauen, die Gewalt erfahren haben, dass wir ihnen eine Stimme geben wollen, dass sie nicht vergessen werden. Ja klar, da kennen wir doch alle jemanden. Der eine stößt seinen Nachbarn an, mit der Aufforderung ihm zuzustimmen. Ja klar, sagt der: Meine Mutter, meine Schwester.

Große, stumme Stille – man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

© Thomas Hirsch-Hüffell

Wir sprechen mit einer jungen Frau. Wir fragen sie: Vielleicht fällt dir ja jemand ein? Eine Frau, die Gewalt erlebt hat? Aus ihrem Freundeskreis oder aus der Familie? Sie zögert kurz und sagt: Ja, dann schreibe ich meinen eigenen Namen auf. Bestimmt greift sie zum Stift. Wir schlucken.

Eine Frau kam auf uns zu, gezielt, sagte: "Seid ihr von der Pop Up Church? Ich kann nicht zum Gottesdienst kommen, aber den Namen wollte ich wenigstens aufschreiben." Sie schrieb und ging sofort wieder weg.

Eine Frau, sie war zuvor bei uns auf dem Vorplatz gewesen, kommt noch einmal aus dem Bahnhof zurück. Sie möchte noch einen Namen dazuschreiben.

Wir begegnen einer älteren Frau. Sie ist eine von den wenigen, die es heute nicht extrem eilig haben. Als wir sie ansprechen, hält sie an. Sie hört uns zu: Ja, da kenn ich jemanden. Mir ging es jahrelang so. Ich hab es nicht verstanden. Zum Glück ist es jetzt vorbei. Zum Glück.

Du, Gott, kennst alle Namen – tausend und abertausend auf der ganzen Welt. Wir bitten dich: Heile, was zerbrochen ist. Amen.

Hier findest du einen kleinen Artikel über unsere Aktion: midi.de